|
Für die Fahrt nach L’Aquila nehmen wir die Autobahn Pescara – Rom. Vor Assergi
fährt man in einen elf Kilometer langen Tunnel ein, der in der Mitte, dort wo sich eine Zufahrt zu T.L.F.N. befindet, nur einspurig befahrbar ist. T.L.F.N.: 1400 m tief im Berg entstand in den 80er Jahren ein in der ganzen Welt einzigartiges, internationales kernphysikalisches Forschungszentrum, das nicht nur von Naturschützern für das innere Gleichgewicht des Berges als außerordentlich bedenklich eingestuft wird.
Kurz nach der Tunnelausfahrt sind wir schon in L’Aquila. Nomen est omen: es regnet in Strömen. Der Name L’Aquila
stammt nämlich nicht von Adler ab, der auf Italienisch l’aquila heißt und auch das Wappentier der Stadt ist, sondern geht auf den Begriff aquille zurück, der für einen mit viel Wasser gesegneten
Ort steht.Unter Friedrich II. war Sulmona
die Hauptstadt der Abruzzen. Der Kaiser erkannte den Abruzzen-Städten eine relative Selbständigkeit zu, die diese wirtschaftlich und kulturell aufblühen ließ. Im Jahre 1250 billigte Konrad IV., der Sohn des
inzwischen verstorbenen Friedrichs II., die Gründung der Stadt L’Aquila. Doch als L’Aquila
undankbarer Weise den Staufern nicht treu blieb, sondern sich dem Papsttum, ein Intimfeind der Staufer, zuwandte, wurde sie im Jahre 1259 von Manfred, einem anderen Sohn Friedrichs, dem Erdboden gleich gemacht.
Karl I. von Anjou baute die Stadt wieder auf. Nach schweren Zerstörungen durch Erdbeben in den Jahren 1646 und 1703 konnte sich L’Aquila unter den Bourbonen noch einmal erholen. Wir besuchen zuerst
Fontana delle 99 Canelle, ein schon 1272 in Auftrag gegebener Brunnen, der aber tatsächlich wohl erst im 14. Jahrhundert errichtet wurde. Dieser „Brunnen der 99 Röhren“ - die Zahl 99 soll an die sagenhafte Gründung
der Stadt durch 99 Höfe und Burgdörfer erinnern - besticht durch seine Vielfalt der Wasserspeier-Köpfe und seine rot-weiße Marmorauskleidung.
Nachdem wir die modernen Vorstädte durchquert haben, fahren wir zuerst zu der Kirche S.Maria di Collemaggio
aus dem 13. Jahrhundert. Leider wird die berühmte Fassade, deren rot-weiße Musterung auf islamische Einflüsse zurückgeht und die zu den schönsten von ganz Italien zählt, gerade renoviert. Der schlichte, hallenartige Innenraum ist von imposanter Größe. Die Kirche wurde 1315 bei einem Erdbeben stark zerstört und anschließend neu aufgebaut; einige der Fresken stammen noch aus dem 15. Jahrhundert.
In der rechten Chorkapelle befindet sich das Grabmal des Papstes Coelestin V. Im Jahre 1209 als Bauernsohn geboren, lebte er als Einsiedlermönch am Monte Morrone, bevor er 1294 in L’Aquila in
Anwesenheit des gerade in seiner Residenz weilenden und aus dem französischen Hause Anjou
stammenden Karl II. zum Papst gekrönt wurde. Als Zeichen der Demut ritt Coelestin auf einem Esel in die Stadt ein. Doch schon wenige Monate später legte er das Amt ab, um sich wieder der Askese zu verschreiben. Er wollte ein Jahr später nach Griechenland fliehen, wurde aber gefangen gesetzt und verstarb 1296 im Gefängnis – ungeklärt, ob eines natürlichen Todes oder von seinem päpstlichen Nachfolger ermordet.
Coelestin hatte den heute ausgestorbenen Orden der Zölestiner gegründet und wurde 1313 heilig gesprochen. Durch das Porta Castello gelangen wir in die Altstadt,
um das Kastell zu besichtigen ( Parkplatz vorhanden). Das
aragonesische Königshaus hatte die französischen Anjou besiegt und war neuer Herrscher des Königreichs Neapel, zu dem auch die Abruzzen gehörten. Im Jahre 1530 veranlasste Karl V. den Bau
der umfangreichen Kastellanlage, um sich sowohl gegen Rebellionen der Einheimischen als auch gegen Angriffe der Franzosen gegen das spanische Herrscherhaus zu sichern. Für die Finanzierung des
Baus wurden die Einwohner auf schier unerträgliche Weise ausgepresst. In späteren Jahren wurden die Wehranlagen erweitert.
Heute beinhaltet das immer noch sehr imposant wirkende Kastell das Nationalmuseum der Abruzzen. Im Erdgeschoss ist eine kleine archäologische
Sammlung untergebracht, besonders beeindruckend ist jedoch die Galerie der sakralen Kunstwerke, in der sich hölzerne Kruzifixe ebenso wie Madonnendarstellungen schon aus dem 12. und 13. Jahrhundert sowie Malereien
finden. Nicht versäumen sollte man die Besichtigung des in einem eigenen Kuppelsaal (Erdgeschoss)
aufgestellten versteinerten Skeletts eines etwa eineinhalb Millionen Jahre alten Mammuts, das hier bei L’Aquila ausgegraben wurde. Anschließend schlendern wir durch die
geschäftige Altstadt mit ihren Arkadengängen und Fußgängerzonen, um uns in der Via Garibaldi in einer Bar zu stärken. Sehr bedeutend ist auch die Franziskanerkirche San Bernardino
. Die Anfang des 16. Jahrhunderts fertig gestellte Kirche ist das bedeutendste Renaissance-Monument der Region. Auch hier liegt ein echter Heiliger begraben, diesmal der Heilige Bernhardin von Siena
. Er wurde 1380 als Sohn einer reichen, adeligen Familie geboren und trat 1402 dem Franziskaner Orden bei. Als für seinen Humor berühmter Wanderprediger zog er
durchs Land und lobpreiste in italienischer Sprache die Schönheit der Natur. Er verstarb 1444 in L’Aquila und wurde bereits 1450 heilig gesprochen. Sein Grabmonument schuf Silvestro dell’Aquila
(1450-1504), einer der bedeutendsten Bildhauer seiner Zeit. Von ihm stammt auch das hier in der Kirche befindliche Grabmal der Maria Pereira, spanische Gattin einer der einflussreichsten Männer L’Aquilas
im 15. Jahrhundert. Gleich links neben der Kirche vorbei geht es zur
Piazza del Teatro und weiter zur Piazza del Duomo. Dort befindet sich der im 13. Jahrhundert erbaute Dom San Massimo, der allerdings wie viele andere Kirchen
L’Aquilas bei dem schweren Erdbeben des Jahres 1703 – es gab in und um L’Aquila dabei 10.000 Tote – zerstört wurde. Ein weiteres Erdbeben 1915 setzte dem Dom ebenfalls stark zu, so dass die Kirche in ihrer
jetzigen Form erst 1928 fertig gestellt wurde. Im Inneren findet sich der zwischen das 7. und 9. Jahrhundert zu datierende Sarkophag des Bischofs Albinus aus Furcona
und das Renaissance-Grabmal des Bischofs Amico Agnifili aus dem Jahre 1476, ausgeführt ebenfalls von dem berühmten Bildhauer Silvestro dell’Aquila. Es gäbe noch einige sehr interessante Kirchen in
L’Aquila zu besichtigen, einige durch das große Erdbeben im Jahre 1703 zerstört und anschließend
durch barocke Kirchenbauten ersetzt, doch das heben wir uns für einen nächsten Besuch auf. Wir spazieren zurück zur Piazza del Palazzo, wo sich der Torre Civica
befindet mit dem ältesten Adler-Stadtwappen von 1374. Bei Sonnenuntergang schlägt die Turmuhr immer noch 99mal; auch dies soll an die Gründung und den Beginn der Stadtgeschichte erinnern.
Der Rückweg zum Parkplatz am Kastell führt uns durch den Corso Vittorio Emanuele, wo wir bei der Hausnummer 81 haltmachen, um uns für die Heimfahrt mit einer Pizza in dem entzückenden Jugendstil-Restaurant (
L’Insalata Ricca) zu stärken. Für den Rückweg nehmen wir nicht die Autobahn, sondern fahren durch den Gran Sasso Nationalpark. Bei Assergi geht eine Seilbahn hinauf auf den Gran Sasso
. Assergi selbst ist ziemlich entsetzlich: durch Straßenbau, Skilifte und die Errichtung von Ferienhäusern und Hotels wurde hier eine gigantische Umweltzerstörung betrieben. Wir fahren durch die Wälder hoch zum Campo Imperatore. Heute sind die Berge Wolken verhangen
und keine Menschenseele ist bei dem schlechten Wetter unterwegs. Da fängt es auch schon wieder an zu regnen. Eine düster-unheimliche Endzeitstimmung verbreitet sich in der verlassen wirkenden, von hohen
Felszacken umgebenen, hügeligen Landschaft… und irgendwo tief unter uns vermuten wir dieses kernphysikalische Versuchslaboratorium
Bei der Weiterfahrt hinunter nach Arsita wird der Regen immer stärker. Von unten ziehen Nebelschwaden den Berg hinauf, wie im Regenwald fett-grün dampfend. Später am Abend lichten sich die Wolken und so steht dem tifosi
-Fest im Dorf nichts mehr entgegen. Der Fußballverein von Arsita ist auf den 2. Platz aufgestiegen und das muss gefeiert werden: mit Musikkapelle, Spanferkel-panini e vino – alles frei,
auch für so frisch gebackene FV-Arsita-Fans wie wir es sind. Spät abends auf unsere Terrasse zurückgekehrt, ist plötzlich Wolfi weg. Weit unten am Fluss hören wir ein bekanntes Bellen. Unser Hund hat sich selbständig
gemacht. Wir rufen und pfeifen, aber er kommt nicht zurück. Sehr ratlos und besorgt gehen wir spät nachts schlafen. Irgendwann gegen Morgen öffnet sich die
nur angelehnte Schlafzimmertüre und ein mit vor Schuldgefühl eingezogenem Schwanz und angelegten Ohren erschöpfter Wolfi schleicht ins Haus.
|